LVR fördert Selbsthilfegruppen ehemaliger Heimkinder

02. September 2020 | Jugend

Finanzielle Unterstützung für selbstorganisierte Initiativen von Menschen, die Leid und Unrecht in Heimen der Jugend- und Behindertenhilfe oder der Psychiatrie erlitten haben / Formloser Antrag genügt

Köln. 2. September 2020. Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) unterstützt Selbsthilfegruppen ehemaliger Heimkinder im Rheinland durch eine finanzielle Förderung. Im Rahmen des Programms „Ehemalige Heimkinder stärken“ können selbstorganisierte Initiativen Fördermittel erhalten. Hierdurch sollen diese langfristig und nachhaltig stabilisiert werden.

„Oft ist Selbsthilfe die beste Hilfe. Denn Menschen, die Ähnliches erlebt haben, verstehen direkt worauf es ankommt“, weiß Andreas Naylor, Leiter der Anlauf-und Beratungsstelle beim LVR. Viele Kinder und Jugendliche haben während der 1950er- bis 1970er-Jahre in Heimen der Jugend- und Behindertenhilfe oder in der Psychiatrie Unrecht erlebt. Zu diesen Erlebnissen gehören auch sexueller Missbrauch und andere Formen der Misshandlung. „Die häufigsten Folgen dieser oft traumatischen Erfahrungen sind soziale Unsicherheiten, Bildungsferne bis hin zum Analphabetismus, ausgeprägte Ängste, Armut, Einsamkeit und sehr oft Sucht“, erklärt Naylor weiter.

In Mönchengladbach, Aachen und Würselen haben sich betroffene Menschen bereits in Selbsthilfe-Gruppen zusammengeschlossen und erhalten die LVR-Förderung. Sie tauschen sich über ihre Erfahrungen aus, unterstützen sich in schwierigen Angelegenheiten oder organisieren gemeinsame Unternehmungen. „Ich bin davon überzeugt, dass Selbsthilfe viel dazu beitragen kann, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten. Außerdem kann ein Zusammenschluss dabei helfen, gemeinsamen Positionen Gehör zu verschaffen. Ehemalige Heimkinder, die sich bereits in der Selbsthilfe engagieren, wollen wir fördern. Diejenigen, die sich künftig engagieren wollen, möchte ich darin gerne bestärken“, so LVR-Jugenddezernent Lorenz Bahr.

Selbsthilfegruppen ehemaliger Heimkinder können die Fördermittel beim LVR schriftlich und formlos unter anerkennung-hilfe@lvr.de beantragen. Aus dem Antrag muss hervorgehen, dass es sich um eine Initiative von und für Menschen handelt, die in der Vergangenheit in Einrichtungen der Jugend- und/oder Behindertenhilfe, Psychiatrien oder Heilpädagogischen Einrichtungen gelebt haben. Der Antrag muss für die Förderjahre 2021 und 2022 jeweils bis zum 1. März vorliegen. Fördermittel für das Jahr 2020 können noch bis zum 31. Dezember 2020 beantragt werden.

Für alle Menschen, die in den oben genannten Einrichtungen in den 1950er- bis 1970er-Jahren gelebt haben und heute im Rheinland wohnen, ist die Anlauf- und Beratungsstelle beim LVR die richtige Adresse. Sie informiert auch zu Leistungen aus der Stiftung Anerkennung und Hilfe. Unter der Telefonnummer 0221 809-5001 und auf der Internetseite www.anerkennung-hilfe.lvr.de erhalten Betroffene alle Informationen.

Einrichtung Erinnerungsort Solingen

Begründung:

Einrichtung eines Erinnerungsortes an die schwarze Pädagogik der Heimerziehung in den 1950er bis 1970er Jahren

Im April 2012 schlug Herr Simon (Betroffener und Mitglied im begleitenden Arbeitskreis der LVR-Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder) der LVR-Direktorin die Einrichtung eines Erinnerungsortes an die schwarze Pädagogik in den Heimeinrichtungen der 1950er bis 1970er Jahre vor. Frau Lubek begrüßte die Idee und fragte an, welcher Ort sich aus Sicht des Dezernates 4 dafür anbietet. Es wurde der ehemalige Arrestzellen- trakt des Halfeshofes in Solingen vorgeschlagen. Frau Lubek stimmte dem zu.

Zunächst wurden das Vorhaben und die vorgeschlagene Örtlichkeit durch Dezernat 4, Vertretern des Halfeshofes (Frau Dr. Lambertz, Frau Weinhold, Herr Naylor), des Dezer- nates 9 (Herr Dr. Nabrings und Kollegin) und des Fachbereiches Kommunikation (Herr Döring) vorgestellt. Alle Beteiligten fanden diese Stätte geeignet und es wurde für das Projekt Zusammenarbeit beschlossen.

Am 25.07.2012 tagte der begleitende Arbeitskreis in Solingen und besichtigte ebenfalls den angedachten Erinnerungsort. Auch diesmal wurde der Ort als beeindruckend authentisch und damit sehr geeignet empfunden. Die Beteiligten sprachen sich einheitlich dafür aus, die Originalität der Räumlichkeiten auf jeden Fall zu erhalten.

Dieses Ergebnis wurde im Juli 2012 dem Landesrat Jugend vorgestellt, der Wert darauf legte, kein rein klassisches Museumsambiente aufzubauen, sondern die Eindrücklichkeit der Räumlichkeiten durch schlichte Gestaltung zur Wirkung kommen zu lassen.

In Zusammenarbeit mit Dezernat 9 (Dr. Nabrings) wurden die folgenden Eckpunkte zur Ausgestaltung und zum Betrieb des Erinnerungsortes erarbeitet:

• Zielgruppen sind Betroffene, Schüler (von Fachschulen), Studierende an Fach- hochschulen und Universitäten sozialer Fachrichtungen und weitere Interessierte.

• Besucher (-gruppen) werden nach Anmeldung begleitet, zunächst durch Mit- arbeiterinnen bzw. Mitarbeiter des Halfeshofes. Perspektivisch können Ehren- amtler eingebunden werden.

  • Die Originalität der Stätte soll so weit wie eben möglich erhalten bleiben, um so den damaligen Zeitgeist ungefiltert spüren lassen.
  • Daher werden Informationsmedien (Fotos, Texttafeln…) spärlich und dezent ein- gesetzt. Für Besucher mit weitergehenden Informationsbedürfnissen wird ein Flyer auf der Basis der LVR-Studie „Verspätete Modernisierung“ entwickelt und ausge- legt.

Bezifferbar sind aktuell folgende Kosten:

  • –  Materialkosten ca.
  • –  Dokumentationsmedien und Flyer, geschätzt
  • –  700 Arbeitsstunden, pauschal

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• Außen soll eine Tafel auf den Erinnerungsort und die Modalitäten von Besichtigun- gen hinweisen.

Auf dieser Basis hat der technische Dienst des Halfeshofes ein bauliches Konzept erar- beitet, das eine Annäherung an den Originalzustand bei vertretbaren Kosten vorsieht. Es wird vorgeschlagen, neben den notwendigen Säuberungs- und Ausbesserungsarbeiten die ursprüngliche Beleuchtung zu rekonstruieren und die Toiletten in den Zellen, die Klin- gelanlage und die Schlösser und Beschläge soweit möglich funktionsfähig, zumindest aber optisch instandzusetzen. Außerdem soll ein Anstrich in den Originalfarbtönen erfol- gen, wobei die noch vorhandenen Inschriften der Arrestanten erhalten bleiben. Die Um- setzung ließe ein beeindruckendes Abbild der damaligen Realität erwarten.

Für eine Arbeitsstunde werden vom Halfeshof üblicherweise ca. 51,– € in Rechnung ge- stellt. Ein gänzlicher Verzicht entspräche einem wirtschaftlichen Verlust für die wie ein Eigenbetrieb geführte Einrichtung, da die für dieses Projekt eingesetzte Arbeitsleistung nicht an anderer Stelle gewinnbringend eingesetzt werden kann.

Durch die Nutzungsänderung, bisher dienten die Räume lediglich als Lager, sind außer- dem überschaubare Kosten für Brandschutzmaßnahmen zu erwarten.

Das Herstellen von Barrierefreiheit stellt im Keller des Altbaus eine technische Herausfor- derung dar, ginge zu Lasten der Originalität des Ortes und würde weitere, vermutlich nicht unerhebliche Kosten verursachen. Ohne grundsätzliche Barrierefreiheit kann das Problem der Zugänglichkeit für Personen mit körperlichen Einschränkungen bei Bedarf durch menschliche Hilfe aus den benachbarten Werkstätten des Halfeshofes gelöst wer- den.

In Vertretung

Elzer

Idee der Gedenkstätte keimt auf

Guten Morgen Frau E., guten Morgen Herr G. und Herr S.,

angefügt Fotos von den „Zellen“ im Halfeshof, wo Ihre Idee einer Gedenkstätte, Herr S. m. E. ideal umgesetzt werden könnte.

Ich war vor ein paar Tagen da und muss sagen, in diesem Keller spürt man wirklich noch die Geister der schwarzen Pädagogik und der totalen Institution.

Was halten Sie davon, eine der nächsten unserer Sitzungen im Haslfeshof stattfinden zu lassen und das mit einem Besichtigungstermin zu verbinden?

Mit freundlichen Grüßen

Peter M. LVR-Landesjugendamt Rheinland Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder

Ablehnung durch den Fond

Sehr geehrter Herr G., sehr geehrter Herr S.,

Herr M./LVR hat Ihren Antrag auf Förderung Ihrer in Gründung befindlichen Selbsthilfegruppe an mich weitergeleitet.

Ihr Engagement, eine Selbsthilfegruppe für ehemalige Heimkinder zu gründen, ist überaus anerkennenswert.

Der Lenkungsausschuss des Fonds Heimerziehung West hat in seiner Sitzung vom 29.02.12 beschlossen, dass die Entscheidung über die Verfahrensweise in Bezug auf Maßnahmen zur überindividuellen Aufarbeitung für das Jahr 2012 zurückgestellt wird.

Die Förderung einer Selbsthilfegruppe aus dem Fonds Heimerziehung West ist daher -jedenfalls derzeit – nicht möglich. (Anmerkg: erst im Jahr 2020 für den LVR)

Ich bedauere, Ihnen keine andere Antwort zukommen lassen zu können.

Mit freundlichen Grüßen

i.A. G.C.

Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben Referat 403 Geschäftsstelle Fonds Heimerziehung

Wir haben ohne finanzielle Unterstützung weiter gemacht und viele Ratsuchende auf eigene Kosten bis heute unterstützt.

Empfehlung an den Fond – Hannelore Kraft (SPD)

Sehr geehrte Frau C.,

angefügt finden Sie den formlosen Antrag auf Förderung einer Selbsthilfegruppe ehemaliger Heimkinder aus dem Fonds Heimerziehung West.

Die beiden Antragsteller sind Mitglieder des begleitenden Arbeitskreises unserer Anlauf- und Beratungsstelle und von daher hier als engagierte Betroffene bestens bekannt. Aus fachlicher Sicht ist dieses Vorhaben natürlich sehr zu begrüßen.

Herr S. hat bereits Herrn Prof. Schruth informiert, der seine volle Unterstützung zugesagt hat. Da die aktuellen Vereinbarungsformulare auf individuelle Leistungen ausgerichtet sind, nehme ich an, dass dieser Antrag auf „überindividuelle“ Förderung dem Lenkungsausschuss des Fonds zur Beratung vorgelegt werden sollte und bitte Sie dies kurzfristig zu veranlassen.

Besten Dank!

Mit freundlichen Grüßen
LVR

Übergabe des Schreiben an Hannelore Kraft – zur Selbsthilfegruppe Rheinland (S.E.H.R) am 27.4.2012

Antwort von Hannelore Kraft

Mit Ihrem Schreiben vom 27. April 2012 haben Sie mich über Probleme informiert, für die von Ihnen geplante Gründung einer Selbsthilfegruppe eine Unterstützung aus dem Fonds ehemaliger Heimkinder zu erhalten.

Ich greife Ihre Bitte um Unterstützung gerne auf und habe mich vergewissert, dass der Fonds auch Maßnahmen zur individuellen und überindividuellen Aufarbeitung der Erfahrungen als Heimkind unterstützen kann. Allerdings trifft im Augenblick noch zu, das der Fonds die Entscheidung über Anträge zurückgestellt hat, weil zunächst gemeinsame Kriterien für eine Länderübergreifend vergleichbare Entscheidungspraxis in der zweiten Jahreshälfte erarbeitet werden sollen.

Das darf aus meiner Sicht aber nicht dazu führen, dass sinnvolle Vorhaben über einen längeren Zeitraum aufgeschoben werden müssen.

Ich habe mich deshalb dafür eingesetzt, dass im Einzelfall auch im Vorgriff eine Unterstützung für sinnvolle Maßnahmen bewilligt werden sollte. Das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport wird sich deshalb auf meine Bitte hin mit der Geschäftsstelle des Fonds Heimerziehung beim Bundesamt für Familie und Zivilgesellschaftliche Ausgaben sowie mit der Anlauf- und Beratungsstelle in Köln in Verbindung setzen.

Für Ihr Vorhaben wünsche ich Ihnen viel Erfolg.

Beste Grüße
Hannelore Kraft

Antrag auf Bildung einer Selbsthilfegruppe

Im Abschlussbericht des Runden Tisches „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“. Berlin, Dezember 2010 wurde auf der Seite 37 unter dem Punkt 3. Systematische Prüfung von Lösungswegen und Lösungsvorschläge vorgeschlagen

Unterstützung und ggf. Initiierung von Gesprächsgruppen ehemaliger Heimkinder (Selbsthilfegruppen)

Auf der zweiten Sitzung sollte sollte das Thema „Unterstützung von Selbsthilfeaktivitäten beraten werden

Am 17.4.2012 wurde dann eine Antrag mit Konzeption für eine Selbsthilfegruppe bei der LVR Anlaufstelle gestellt. Die Anlaufstelle unterstützte den Antrag wohlwollend.