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Motivation: Anerkennung und Aufarbeitung – Der Weg der Selbsthilfegruppe ehemaliger Heimkinder

Nach einem achtjährigen Engagement (2012-2020) ist es unserer Selbsthilfegruppe ehemaliger Heimkinder gelungen, die offizielle Anerkennung durch den Landschaftsverband Rheinland (LVR) zu erhalten. Dieser Erfolg markiert einen bedeutsamen Meilenstein in unserem Bestreben, Betroffenen eine Plattform für Austausch und Unterstützung zu bieten.


Die Dringlichkeit der Aufarbeitung im fortgeschrittenen Alter

Mit dem Überschreiten des sechzigsten Lebensjahres tritt für viele Menschen eine Phase der retrospektiven Auseinandersetzung ein. Dies ist oft eine Zeit, in der aufgeschobene Pläne, unerledigte Aufgaben und unerfüllte Versprechen einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Psychologische Erkenntnisse legen nahe, dass in dieser Lebensphase lang verdrängte Lebensthemen, unaufgearbeitete Traumata und verschüttete Ängste wieder ins Bewusstsein drängen können. Dies gilt insbesondere für die tiefgreifenden Erfahrungen der Kindheit, einschließlich jener aus der Heimerziehung.

Die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit für die Auswirkungen der Heimerziehung hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Für Betroffene kann dies bedeuten, dass die Erinnerungen an die Heimerziehung immer präsenter werden, wodurch die Auseinandersetzung mit diesem prägenden Lebensabschnitt unumgänglich wird. Doch nicht jede Person ist gleichermaßen bereit oder in der Lage, sich diesen schmerzhaften Erinnerungen zu stellen.


Herausforderungen in der institutionellen Aufarbeitung

Ein zentrales Problem in der Aufarbeitung der Heimerziehung ist die Asymmetrie in der Gesprächsebene zwischen Betroffenen und Vertretern der involvierten Institutionen (Heimleiter, Sozialarbeiter, Ordensmitglieder, Geistliche). Diejenigen, die einst Anweisungen und Befehle erteilten und deren pädagogische Praktiken einer kritischen Prüfung bedürfen, treten oft in einer Position auf, in der die Betroffenen sich erklären und Nachweise erbringen sollen. Dies ist besonders prekär, wenn Akten und Unterlagen manipuliert, vernichtet oder unvollständig sind, während gleichzeitig versucht wird, Täter abzuschirmen. Betroffene fühlen sich mitunter fassungslos, wenn sie Entschuldigungen entgegennehmen sollen, während der Zugang zu ihrer eigenen Geschichte verwehrt bleibt oder erschwert wird.


Die Bedeutung der Selbsthilfe für die Bewältigung von Traumata

Nach Jahrzehnten des Tabus, der Scham und des Schweigens ermöglicht die veränderte öffentliche Wahrnehmung allmählich einen offenen Diskurs über die Erfahrungen ehemaliger Heimkinder. Das Aufwachsen in liebloser Umgebung, die Konfrontation mit Kälte, Strenge, physischer und psychischer Gewalt, Misshandlungen, sexuellem Missbrauch, harter Arbeit und vorenthaltener Bildung hat bei vielen Betroffenen lebenslange und tiefgreifende Folgen hinterlassen.

Wir sind motiviert, durch selbstorganisierten Austausch und gegenseitige Unterstützung die Isolation und das Gefühl des Unverstanden-Seins zu durchbrechen, die viele Betroffene empfinden. Die individuelle Aufarbeitung dieser oft traumatischen Erfahrungen ist von größter Bedeutung. Viele ehemalige Heimkinder verspüren einen dringenden Bedarf, ihre Erlebnisse zu verarbeiten und, soweit möglich, ihren Frieden mit ihrer Zeit im Heim zu schließen. Dabei geht es nicht nur um die konkreten Vorkommnisse im Heim, sondern auch um grundlegende biographische Fragen wie die Gründe der Einweisung oder die Rolle der Eltern. Dies erfordert eine umfassende biographische Arbeit innerhalb der Selbsthilfegruppe, die eine Rekonstruktion von Lebensbrüchen und die Anerkennung der eigenen Geschichte ermöglicht.

Die Relevanz der Selbsthilfe wird auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse unterstrichen. Wie Silke Brigitta Gahleitner in ihrer Expertise „Was hilft ehemaligen Heimkindern bei der Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung“ (im Auftrag des Runden Tisches Heimerziehung) festhält, basiert Selbsthilfe auf Freiwilligkeit, Unentgeltlichkeit und der Solidarität Gleichbetroffener. Sie zeichnet sich durch Selbstbetroffenheit und Selbstbestimmung aus. Da die Teilnehmer als „Experten in eigener Sache“ agieren, ist der Austausch oft besonders erfolgreich (Hamburger Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz, 2009). Solche Strukturen sind daher ausdrücklich zu unterstützen und in die gesamtgesellschaftlichen Überlegungen zur Aufarbeitung einzubeziehen.

Eine besondere „Bedrohung“ für ältere ehemalige Heimkinder stellt die Angst vor einer erneuten Heimunterbringung im Alter dar, sei es in einem Alten- oder Pflegeheim. Über diese Ängste kann ein Austausch mit Gleichbetroffenen eine entscheidende Hilfe sein, um sie zu verarbeiten und Strategien zu entwickeln.


Unser Engagement

Ernst-Christoph Simon (Diplom-Betriebswirt, ehemaliges Heimkind und Mitglied im begleitenden Arbeitskreis ehemaliger Heimkinder beim LVR), Prof. Uli Deller sowie weitere engagierte Personen bieten durch diese Selbsthilfegruppe ein Forum für Gespräche, Beratung und Hilfen in der Städteregion Aachen an. Unser Ziel ist es, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem Betroffene ihre Erfahrungen teilen, Unterstützung finden und gemeinsam den Weg der Aufarbeitung beschreiten können.